Von fernher

 

Die Fotografien ergeben sich spontan, Motive drängen sich buchstäblich im Vorübergehen auf. Sie finden sich als Flächen, Formen, Kleckse, Kratzer, Flecken, Zeichen, Schattenwürfe usw. an Mauern und Wänden aller Art, Holz- und Metallflächen, am Boden: überall.

Den Prozessen ständiger Verwitterung und Verwandlung unterworfen, sind die Dinge ihrer ursprünglichen Bedeutung und Funktion längst entzogen. Bevor sie endgültig verschwunden sein werden, verwandeln sie sich im Sucher, ordnen sich neu. Doch was ich sehe, ist nicht, was es eigentlich ist, und das, als was es sich zu entpuppen scheint, ist es auch nicht.

So mischt sich, im Blick des Fotografen, von fernher, eine ganz eigene, fremde Welt von Bildern. Fotografieren bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als sehen zu wollen, ob in den Dingen ein Bild verborgen ist.

Insofern jede Technik vom Fotografen eine Entscheidung verlangt, wie und wozu er sich ihrer bedient, erfordert die digitale Arbeitsweise im Grunde keinerlei grundsätzliche Neuorientierung. Nur bedarf es, wo nunmehr schier alles problemlos machbar geworden ist, in besonderer Weise der Reflexion: Die Bilder entstehen im Sucher, nicht am PC. Nur was in der Ursprungsdatei angelegt ist, gilt.  

Einfachste Bildbearbeitung: Kontrast – Helligkeit – Farbsättigung – Farbverschiebung. Nichts weiter. Alles immer aufs ganze Bild bezogen, keine Teilretuschen. Wenn ich einen Faktor verändere, verändert sich alles Andere mit.

 

   

 

 

von fernher  

Farbfotografien 

 

 

Die Ausstellung fand vom 21. Sept. 2012 bis zum 9. Nov. 2012

im Foyer des Landratsamtes Freudenstadt statt. 

 

 

Mit der Einführung von Dr. Sascha Falk:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

seit über 150 Jahren existiert die Fotografie als scheinbar authentisches Abbild der Wirklichkeit. Das ist eine wirklich kurze Zeit verglichen mit den traditionellen Bildformen der Malerei und Grafik. Es ist deshalb unschwer nachzuvollziehen, dass die Fotografie sofort in unmittelbare Konkurrenz trat zu den etablierten darstellenden Bildkünsten. Der sich damals entzündende Streit um die Grundsatzfrage, ob denn Fotografie überhaupt ein künstlerisches Ausdrucksmittel sei, hat die Fotografie - wie wir alle wissen - für sich entschieden.

 

Allerdings - in einer Zeit, in der der rasante technische Fortschritt uns alle befähigt, komfortabel und schnell hochauflösende und gestochen scharfe Fotos in inflationärer Form zu schießen - in so einer Zeit scheint das veraltete Hauptargument für die Behauptung, die Fotografie, insbesondere die Digitalfotografie könne keine Kunst sein, weil sie ein technischer Vorgang sei, bei dem der Fotograf nichts anderes als den Auslöser zu betätigen habe, wieder berechtigt oder zumindest bedenkenswert.

 

Den fotografischen Arbeiten von Herbert Spatzek gelingt es überzeugend, dieses leichtfertige Argument zu entkräften. Nach langjähriger Erfahrung im Umgang mit den klassischen Formen und Arbeitsweisen der Dia- und Schwarz-Weiß-Fotografie und ihren anspruchsvollen technisch-handwerklichen Herausforderungen hat er sich vor 10 Jahren bewusst der Digitalfotografie zugewandt. Aus der anfänglichen Neugier und Faszination über das Potential dieser damals neuen Fototechnik entwickelte Herbert Spatzek eine konsequente künstlerische Strategie und Position.

 

Dabei steht das Bildmotiv von Beginn bis Ende des fotografischen Arbeitsprozesses buchstäblich unverrückbar im Zentrum. Und dieser Arbeitsprozess beginnt nicht mit der Suche, sondern mit dem Finden des bildwürdigen Motivs. Während dieser Findung verlässt sich Herbert Spatzek auf seinen ausgeprägten Instinkt und hält es dabei mit Anselm Kiefer, der sagte:

 

"Ich lasse mich treiben, aber ich kenne die Strömung, die ich mir ausgesucht habe."

 

Die Strömung in der sich Herbert Spatzek treiben lässt, besteht aus verwitterten und im Verfall sich befindenden Flächen. Dabei kann es sich um Böden, Mauern, Wände oder auch um Straßenleitplanken handeln. Die darauf befindlichen Stadien und Auswüchse des Verfalls, der Verwitterung, der Vergänglichkeit sind für Herbert Spatzek der Ausgangspunkt seiner fotografisch-künstlerischen Arbeit.  

 

Dort, wo andere zumeist teilnahmslos an verwahrlosten Zeugnissen, an den

Abfallprodukten unserer Zivilisation vorübergehen, dort wird Herbert Spatzek fündig.

Herbert Spatzek sagt über seinen Motivfindungsprozess:

 

„Was ich sehe, ist nicht, was es eigentlich ist."

 

Voraussetzung für diese Vorgehensweise ist eine distanzierte, eine künstlerische Haltung zum Gegenstand. Und bevor Herbert Spatzek den Auslöser seiner Kamera betätigt, erfassen seine Augen das ästhetische Potential eines Bildausschnitts, das beispielsweise aus einem Ensemble aus Flecken, Klecksen und Kratzern besteht. Die entstehende Fotografie ist das Produkt einer Entscheidung in einem flüchtigen Moment, der sich nie mehr wiederholen lässt.

 

Mitden Worten Herbert Spatzeks lässt sich ergänzen:

 

"Fotografieren bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als sehen zu wollen, ob in den Dingen ein Bild verborgen ist."

 

Dieses verborgene Bild bleibt im weiteren Bearbeitungsprozess durch den Fotografen die absolute Konstante, der absolute Maßstab. Stellt der Bildausschnitt sich als nicht bildwürdig heraus wird er verworfen. Die Qualität der ursprünglichen Aufnahme entscheidet über die weitere künstlerische Verwertbarkeit, und das ist ein wichtiges Moment in Herbert Spatzeks Arbeitsweise.

 

Die Bilder entstehen also bereits im Sucher, nicht am PC. Denn während der weiteren digitalen Bearbeitung am Computer, die Herbert Spatzek mit den Vorgehensweisender herkömmlichen Dunkelkammerarbeit vergleicht, wird nichts hinzugefügt und nichts weggenommen. Strukturen, Formen und deren Anordnung werden nicht verändert, damit das Bild funktioniert. Die ursprüngliche fotografische Gesamtaufnahme des verborgenen Bildes muss bereits funktionieren.

 

Bei der digitalen Bildnachbearbeitung bewegt sich Herbert Spatzek in einem eng gesteckten Handlungsrahmen. Er verschiebt Farben und übernimmt die Feinabstimmung von Kontrasten und Helligkeiten und arbeitet so in einem sehr zeitintensiven Arbeitsprozess das Bild regelrecht heraus.

 

Plakativ ausgedrückt: Wie eine erfahrene Hebamme verhilft Herbert Spatzek dem von ihm bereits im Sucher fokussierten Bild zur erfolgreichen Geburt.

 

Die Ergebnisse sind verblüffend und erreichen eine Bandbreite an Assoziationsmöglichkeiten, die ihresgleichen sucht. Formal drängen sich Vergleiche zur abstrakten Malerei des Tachismus, des Informel oder des Action Paintings auf. Und sogar Referenzen zum Impressionismus (Cuxhaven 2006) ließen sich entdecken.

 

Inhaltlich lassen sich abstrahierte Landschaften mit zum Teil tief liegenden Horizonten ausmachen.

Sie erinnern an Herbst- und Winterlandschaften (Tübingen 2004, Tübingen 2005, Venedig 2008), an karstige Gebirgszüge (Cuxhaven 2009), an bedrohliche Vulkanlandschaften (Cuxhaven 2008), an sphärische Wüstenbilder (Cuxhaven 2009), Küstenlandschaften (Villingen Schwenningen 2009) oder an düstere Industrieruinen (Cuxhaven 2009, Kochel Am See 2011).

 

Herbert Spatzek ist sich dieser Nähe zur malerischen Moderne vor allem des 20.Jahrhunderts bewusst und begrüßt die vielfältigen Möglichkeiten an Gedanken und Vorstellungen, die seine Arbeiten bei der Betrachtung auszulösen vermögen. Er betont allerdings, dass es ihm nicht darum gehe, Malerei zu imitieren. Der bildgestalterische Prozess basiert nämlich auf einer akribischen Bildanalyse der vorhandenen fotografischen Abbildung. Das Bild entsteht nicht wie bei der Malerei aus der Synthese, also der Zusammensetzung von den Einzelelementen Linie, Pinselduktus, Strich und Farbe.

 

Als künstlerischer Fotograf verfremdet, inszeniert und ästhetisiert Herbert Spatzek verborgene Realitäten und unterläuft dabei das ursprünglich hehre Ethos der Fotografie, die Dinge so zu zeigen, wie sie sind.

 

Dass dieser Glaubwürdigkeitsanspruch in unserer bildüberfluteten Zeit schon längst ad absurdum geführt wurde, macht Herbert Spatzeks Farbfotografien umso authentischer.

 

Um es noch zugespitzter auszudrücken: Herbert Spatzeks Bilder lügen nicht.

 

Dr. Sascha Falk